Tagesablauf Mann krank, Frau pflegt
6.30 Uhr: Er krächzt und ächzt. Zwischen 2 Hustenanfällen jappst er hervor: „Ich habe so einen Durst, bringst du mir bitte ein Wasser. Mir tun alle Knochen weh, ich kann mich kaum bewegen. Ich sterbe.“
Liebende Frau, müde nach einer vom Bettnachbarn durchgehusteten Nacht, steht leise auf, um ihm Wasser zu holen. Er stellt das Glas ab – ohne zu trinken.
„Warum trinkst du denn jetzt nicht?“
„Mir ist so schlecht. Ich kann nicht. Bring mir bitte einen Kühlbeutel.“
Liebende Frau holt Kühlbeutel. Legt ihm den Beutel behutsam auf den Kopf. Er schreit auf: „Ich erfriere.“ Wirft den Kühlbeutel weg. „Ich glaube, eine Wärmflasche ist besser. So hilf mir doch. Und Taschentücher brauche ich auch. Meine Nase läuft.“
Liebende Frau steht auf. Verlässt das Invalidenzimmer. Kehrt wenig später mit Wärmflasche, Taschentüchern und neuen schwer herunterhängenden Augenlidern zurück. Mann ist eingeschlafen. Frau beschließt, sich auch noch einmal hinzulegen. Großer Fehler.
Kaum lüftet sie die Bettdecke ein wenig, wacht er auf. „Was machst du da? Warum weckst du mich, wo ich endlich eingeschlafen bin? Hust, hust! Das bisschen Schlaf hätte mir gut getan.“
Liebende Frau reicht Wärmflasche. „Für dich“, haucht sie.
Er nimmt die Wärmflasche. Ächzt. „Ist die schwer. Musst du die so voll machen? Und viel zu kalt ist sie. Das ist keine Wärmflasche, das ist eine Kaltflasche. Außerdem habe ich Hunger. Und wenn man Hunger hat, muss man was essen. Besonders, wenn man krank ist. Das ist ganz, ganz wichtig. Ach bitte, bring mir doch was.“
Liebende Frau steht auf. Macht Frühstück. Wärmt Wärmflasche. Überlegt kurzzeitig, mit der Suche nach einem neuen Mann zu beginnen. Macht sich seufzend auf den Weg zurück ins Invalidenlager.
„Hier, dein Frühstück.“
„Frühstück? Wieso Frühstück? Wer hat was von Frühstück gesagt. Ich bin todkrank, und du denkst, ich könnte ganz normal frühstücken? Hältst du mich für einen Simulanten? Und außerdem – hust, hust, wenn ich das esse, bringe ich mich um. Ach was, dann bringst DU mich um. Zwieback, ich brauche Zwieback. Und Tee. Meine Mutter hat mir dann immer Tee gebracht!“
„Deine Mutter ist tot!“
„Aber nicht wegen mir!“
„Tee hat sie auch nicht getrunken.“
„Aber gebracht. Weil Tee gut für mich ist.“
„Und den trinkst du dann?“
„Ist doch egal. Es geht um das Gefühl.“
„Welches Gefühl?“
„Das Gefühl, dass sich jemand um dich kümmert, wenn du krank bist, und dann etwas bringt, was definitiv hilft.“
„Etwas, was du dann nicht trinkst?“
„Ich bin kraaaaaaaaaaaaaaank. Kann ich jetzt bitte eine Tee bekommen?“
Liebende Frau geht, um Tee zu machen. Stolpert über die Wärmflasche, die der kranke, bedauernswerte in den Raum geschmissen hatte. Sie stößt sich den Kopf.
Mann richtet sich ächzend auf. „Was machst du für einen Krach. Jetzt wäre ich fast wieder eingeschlafen. Immer weckst du mich. Warum? Warum machst du das mit mir, wo ich doch so krank bin.“
6.53 Uhr: Frau verlässt Mann und tritt zum Buddhismus über. Oder meldet sich bei der Gruppe anonymer Ehefrauen schwer kranker Männer an …
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Tagesablauf Frau krank, Mann pflegt
6.30 Uhr: Die liebende Frau, triefende Nase, Ringe um die Augen und hustend, rüttelt ihren im Bett neben ihr liegenden Mann sanft: „Ich habe so einen Durst, bringst du mir bitte ein Wasser. Mir tun alle Knochen weh. Sei doch so lieb!“
Liebender Man zieht die Decke über den Kopf. „Da steht noch Wasser neben dem Bett.“
„Das ist alle. Außerdem habe ich Kopfschmerzen und Schnupfen. Kannst du mir das Nasenspray mitbringen?“
Lautes Schnarchen von der Bettstelle nebenan.
Liebende Frau rüttelt ihn sanft. „Mir ist wirklich nicht gut. Bitte, bring mir jetzt was zu trinken. Ich kann wirklich nicht aufstehen.“
Liebender Mann quält sich unter der Bettdecke hervor. „Klar, mache ich.“ Seufzend verschwindet er in der Küche. Kehrt 15 Minuten später zurück. „Hier, deine Wärmflasche.“
Frau schrickt aus dem Dämmerschlaf hoch. „Wärmflasche? Wieso Wärmflasche?“
„Weil eine Wärmflasche gut für dich ist. Die hilft immer.“
„Aber ich habe Durst und mir tut jeder Knochen weh. Ich will keine Wärmflasche.“
„Mein Gott bist du schwierig! Da will man dir mal was Gutes tun, und dauernd zickst du rum. Was willst du denn jetzt. Soll ich dir nun helfen oder nicht?“
„Ja. Wasser. Ich will nur Wasser. Sonst nichts.“
„Wasser. Pah. Wasser. Meine Mutter hat immer Tee gemacht, wenn jemand krank war. Der hat sofort geholfen!“
„Dann mach halt Tee. Ist mir doch egal. Ich verdurste. Ich habe Fieber. Bitte. Tu was!“
„Was heißt denn hier ‚Tu was‘? Jetzt stell mich nicht so dahin, als würde ich nichts tun. Ich kümmere mich die ganze Zeit um dich, und dann muss ich mir so etwas anhören. Das ist doch …“
Liebende Frau unterbricht. „Klappe!“
Liebender Mann lässt seine Kinnlade herunterfallen. Aber nur ein bisschen.
„Klappe? Was soll das heißen? Ich tu und mache – und du sagst ‚Klappe‘ …“
Liebende Frau schlägt Bettdecke beiseite. Richtet sich ächzend auf. „Ist schon gut. Ich geh mir jetzt selber was zum Trinken holen. Die Knochen tun auch gar nicht mehr so weh. Und eigentlich bin ich total gesund.“
Mit seltsam schlurfendem Gang schleppt sie sich aus dem Schlafzimmer.
Der liebende Mann schaut ihr kummervoll hinterher. „Wusste ich doch, dass sie simuliert.“ Seufzend lässt er sich zurück ins Bett fallen, wickelt sich in die Bettdecke und schläft mit sorgenvoller Miene ein.
6.53 Uhr: Frau gesund. Mann schläft. Welt in Ordnung